Datenschmutz

Der Verfassungsschutz braucht Nachhilfe

Wir, die Kritischen Jurastudierenden Hamburg (KJS), haben letztes Jahr eine Datenschmutzkampagne durchgeführt und gemeinsam mit den Teilnehmenden Auskunftsersuche an Polizei und Verfassungsschutz gestellt. Anlass hat die Seminararbeit einer Jurastudentin mit dem Titel „Die wehrhafte Demokratie“ gegeben, die über die Kontrollmöglichkeiten staatlicher Institutionen durch die Demokratie mit besonderem Schwerpunkt auf den Verfassungsschutz geschrieben hat. Wir wollten ihre Ergebnisse im Rahmen einer Veranstaltung öffentlich machen und die demokratischen Kontrollmöglichkeiten direkt ausprobieren, indem wir die nötigen technischen Mittel wie Drucker und Briefmarken für die Wahrnehmung unseres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zur Verfügung gestellt haben. Wir als Organisator*innen haben ebenfalls Auskunftsersuche gestellt.

Während alle Polizeibehörden und die Verfassungsschutzämter anderer Länder uns Auskunft erteilten, hat der hamburgische Verfassungsschutz die Auskunftserteilung abgelehnt. Im Ablehnungsbescheid erklärte er, wir würden durch die Anfrage die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes gefährden. Wir legten also Widerspruch ein.

Nach etwa neun Monaten kam endlich der Widerspruchsbescheid. Uns fiel auf, dass derselbe Beamte, der auch für den Ausgangsbescheid zuständig war, nun über den Widerspruch entschied. Überraschenderweise kam er zum gleichen Ergebnis wie im Ausgangsbescheid; die Auskunftserteilung unterbleibe.

Was steht im Widerspruchsbescheid?

Gestützt wird das Unterlassen der Auskunftserteilung auf § 23 II Nr. 1 und Nr. 2 HmbVerfSchG. Nachdem im Widerspruchsbescheid umfangreich auf die Wichtigkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und das Auskunftsrecht als zentrale Kontrollmöglichkeit des Geheimdienstes durch die Bürger*innen eingegangen wird, folgt die Begründung, warum es in diesem Einzelfall nach umfangreicher Abwägung der Interessen nicht möglich sei. Es lägen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sowohl Quellen des VS gefährdet werden als auch die Ausforschung des Verfassungsschutzes zu befürchten sei. Soweit entspricht dies erstmal nur dem Gesetzestext des § 23 II Nr. 1 und Nr. 2 HmbVerfSchG.

Dann geht es allerdings abenteuerlich weiter. Wir als Kritische Jurastudierende hätten die Veranstaltungsreihe als Reaktion auf die Enttarnung einer V-Person in Göttingen durchgeführt, weil diese im Rahmen eines Auskunftsersuchens enttarnt wurde. Nicht unerwähnt darf dabei bleiben, dass der niedersächsische Verfassungsschutz hierbei einen enormen Fehler gemacht hat, indem er vergaß, den Namen der Quelle in den Akten zu schwärzen, was zu einem mittelgroßen Skandal und zum Rücktritt der niedersächsischen Verfassungsschutzpräsidentin geführt hat. Natürlich hatten wir davon gehört, keineswegs gehen wir davon aus, dass dem Verfassungsschutz ein solcher Fauxpas noch einmal passiert.

Im Weiteren erleuchtet uns der Verfassungsschutz dann endlich, worin die konkrete Gefährdung liege: Wenn viele Bürger*innen aus einem bestimmten Bereich, zum Beispiel des Linksextremismus, Auskunftsersuche stellten, dann könnten sie die Ergebnisse wie ein Mosaikpuzzle zusammensetzen und dadurch Erkenntnisse über Schwerpunkte, Arbeitsweisen und sogar Quellen des Verfassungsschutzes gewinnen. Daher könne auch keine negative Auskunft erteilt werden, denn daraus würden sich Rückschlüsse ziehen lassen, welche Bereiche für den Verfassungsschutz „blinde“ Flecken sind, um dann die extremistischen Aktivitäten dahinein zu verlagern. Im Klartext: Wenn sich herausstellte, dass im BWL-Fachbereich kaum V-Leute unterwegs sind, könnten die extremistischen Studierenden ihre Aktivitäten ja dorthin verlagern und: Problem gelöst.

Der Verfassungsschutz unterstellt somit den Teilnehmenden pauschal und ausnahmslos, sie wollten die persönlichen Daten nicht für sich selbst nutzen, sondern würden damit direkt zu einem konspirativen Treffen fahren, um die Ergebnisse zu vergleichen und das Mosaikpuzzle zusammensetzen. Für diese Annahme fehlt jede konkrete Grundlage. Noch lächerlicher ist die Behauptung vor dem Hintergrund, dass der Verfassungsschutz doch selbst im Verfassungsschutzbericht seine wesentlichen Erkenntnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. So kann jede*r lesen, dass die Rote Flora ein Beobachtungsobjekt ist im Gegensatz zum Studiengang der BWL. Dafür ist kein Mosaikpuzzle nötig. Auch der Geheimdienst muss einsehen, dass er eine staatliche Behörde ist, die sich an Recht und Gesetz halten muss, der Kontrolle der demokratischen Institutionen unterliegt und gerade nicht heimlich machen und tun, beobachten und schreddern kann, wie er lustig ist!

Zum Ende zeigte der Verfassungsschutz noch einmal, wie viel er nämlich wirklich von dem § 23 I HmbVerfSchG hält: Er argumentiert, dass einige wenige Auskunftsersuche die Arbeitsweise des VS nicht gefährden würden, aber die Masse, bei einer Veranstaltung sogar 32 Anfragen auf einmal, wären geeignet, die Arbeitsweise zu gefährden. Nun gut, wie hätte es der VS denn gern? Höchstens 10 Anfragen im Jahr? Und dann ist Schluss? Wer zuerst kommt, mahlt zuerst? Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gilt halt nur für die ersten zehn Anfragen, Pech!

Das heißt?

Der Verfassungsschutz braucht dringend Nachhilfe im Verfassungsrecht, Stichpunkt Rechtsstaatsprinzip, insbesondere zu dem Grundsatz: Kein Handeln gegen das Gesetz. Diesen Unterricht wollen wir dem Verfassungsschutz gerne ermöglichen, weshalb wir Klage vor dem Verwaltungsgericht Hamburg auf Auskunftserteilung erhoben haben.